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AHO Aktuell - 22.07.2000

Kampfhunde - gibt's die?


Ein Artikel von A. Prof. Dr. Irene Stur, Institut für Tierzucht und
Genetik der Veterinärmedizinischen Universität Wien:

Der tragische Tod eines Hamburger Kindes, das durch einen Hund
ums Leben gekommen ist, hat eine Welle von Reaktionen
hervorgerufen, die in ihren Konsequenzen bis jetzt nicht absehbar
sind. Der Tod dieses Kindes macht betroffen so wie es immer
betroffen macht, wenn ein Kind zu Tode kommt, ob durch eine
schwere Erkrankung, durch einen Autounfall oder wie in diesem
Fall, durch einen Hund. Genauso betroffen macht aber die
Tatsache, dass dieses Kind nicht hätte sterben müssen, wenn
bestehende Vorschriften eingehalten worden wären. Denn der
Hund, der das Kind getötet hat, war den Behörden als gefährlicher
Hund bekannt, der Besitzer des Hundes war mehrfach vorbestraft
und der Hund war mit Auflagen wie Leinen- und Beißkorbzwang
belegt worden. Es hatte sich nur der Besitzer nicht darum
gekümmert und auch die Behörden haben die Durchführung der
Auflagen nicht kontrolliert.

Als Reaktion auf diesen Vorfall werden nun im
"Schnellschussverfahren" neue Gesetze und Verordnungen
diskutiert bzw. erlassen, die alle die gleichen Schwächen
aufweisen.

· Sie beruhen nicht auf sachlich-wissenschaftlichen Grundlagen und

· Sie sind von ihrer praktischen Durchführbarkeit zu wenig durchdacht.

Im Rahmen der Diskussionen taucht auch immer wieder der
Begriff "Kampfhund" auf, unter dem je nach Land bzw. Bundesland
verschiedene Rassen subsummiert werden.

Auch wenn der Begriff "Kampfhund" medial gesehen sehr
anschaulich ist und dazu angetan ist, die Ängste der Bevölkerung
zu schüren, so ist er doch sachlich nicht richtig. Denn "den
Kampfhund" als biologische Einheit gibt es nicht. Im historischen
Sinn waren Kampfhunde Hunde, die in der Antike mit in den Kampf
genommen wurden. Sie sollten in erster Linie groß sein um dem
Gegner Furcht einzuflössen. Daneben sollten sie eine möglichst
hohe Reizschwelle haben um im Kampfgetümmel nicht kopflos
das weite zu suchen. In jüngerer Zeit gibt es eine Gruppe von
Hunden, die gezielt für Hundekämpfe gezüchtet wurden. Diese
Hunde sollten eine hohe Aggressivität haben, die aber
ausschließlich auf Artgenossen gerichtet sein sollte. Hundekämpfe
sind seit langer Zeit verboten, nichtsdestoweniger existiert eine
Untergrundszene, in der Hundekämpfe stattfinden. Für diese
Kämpfe werden Hunde entweder gezielt gezüchtet oder abgerichtet
und verwendbar sind dafür grundsätzlich Hunde verschiedenster
Rassen oder Mischlinge.

Den "Kampfhund" im Sinne des Wortes gibt es also ausschließlich
in einer kleinen kriminellen Szene und ganz sicher nicht in den
Wohnzimmern oder Gärten der durchschnittlichen Hundehalter.

Was es allerdings sehr wohl gibt, das ist der gefährliche Hund.
Und den gefährlichen Hund den gibt es quer durch alle Rassen
und durch alle Gesellschaftsschichten.

Der Anteil von gefährlichen Hunden an der
Gesamthundepopulation ist allerdings verschwindend klein. Weit
mehr als 99% aller Hunde werden niemals in ihrem Leben
auffällig.

Der Gesetzgeber steht nun dennoch vor dem zugegebenermaßen
schwierigen Problem, dem berechtigten Wunsch der Bürger nach
Schutz vor gefährlichen Hunden zu entsprechen. Und damit stellt
sich in erster Linie einmal ein Definitionsproblem.

Die anscheinend einfachste Lösung ist die Definition bestimmter
Hunderassen als besonders gefährlich, sozusagen die Erstellung
einer "roten Liste", und die Verhängung von Auflagen für diese
Hunde, die von Leinen- und Beißkorbzwang über Halte- und
Zuchtverbot bis zu Wegnahme und Euthanasie der Hunde gehen
kann.

Ganz abgesehen davon, dass in einem Rechtsstaat die
Wegnahme und Euthanasie eines Hundes gegen den Willen des
Eigentümers und ohne vernünftigen Grund rechtswidrig ist, und
ein absoluter Leinenzwang auch aus einem primär ungefährlichen
Hund einen gefährlichen machen kann, ist die Definition der
Gefährlichkeit allein aufgrund der Rassezugehörigkeit sachlicher
Unsinn.

Was also macht einen Hund gefährlich?

Da wäre zunächst die Sache mit der Aggression. Aggression ist
ein Merkmal, das in der Art Hund recht fest verankert ist, da es bei
der Evolution und Domestikation des Hundes eine ganz wichtige
Rolle gespielt hat. Bei den Stammvätern der Hunde, den Wölfen,
verpaaren sich nur die ranghöchsten Tiere miteinander und die
Rangordnung wird auf aggressive Art und Weise ausgehandelt.
Damit kamen immer nur die Tiere zur Fortpflanzung, die die
Rangordnungsauseinandersetzung erfolgreich bestanden haben.
In der Domestikation hat sich diese Selektion auf Aggressivität
fortgesetzt, denn bei fast jeder Verwendung des Hundes im
Dienste des Menschen spielte Aggression eine mehr oder weniger
große Rolle. Ob es die Verwendung als Wächter von Haus- und
Hof (territoriale Aggression), der Einsatz als Jagdhund
(Beuteaggression, Verteidigungsaggression) oder die Verwendung
als Hütehund (Dominanzaggression, territoriale Aggression) war,
die Tiere mit den ausgeprägtesten Aggressionsmerkmalen
wurden zur Weiterzucht verwendet. Dabei war aber die
züchterische begünstigte Aggression so gut wie niemals gegen
den Menschen gerichtet.

Aggression alleine macht einen Hund aber noch nicht gefährlich.
Nur wenn diese Aggression durch bestimmte Reize auch
ausgelöst wird, wird der Hund gefährlich. Und dafür ist unter
anderem auch die Reizschwelle des Hundes verantwortlich. Je
höher die Reizschwelle eines Hundes ist umso geringer ist die
Wahrscheinlichkeit, dass seine Aggression ausgelöst wird.
Wirklich gefährlich ist also ein Hund wenn er ein hohes
Aggressionspotential bei gleichzeitig niedriger Reizschwelle hat.
Sowohl Aggression als auch Reizschwelle eines Hundes sind
zwar grundsätzlich genetisch verankert, werden aber durch
Umwelt- und Haltungsbedingungen verändert. So sinkt z.B. die
Reizschwelle eines Hundes, wenn er niemals oder zu wenig
Gelegenheit hat, sich frei zu bewegen. Ein ständiger
Leinenzwang als Maßnahme zur Prävention vor Hundebissen ist
somit als äußerst problematisch anzusehen, da durch den damit
verbundenen Mangel an Bewegung, die Reizschwelle des
Hundes sinkt und er damit de facto gefährlicher wird.

Eine weitere ganz wichtige Gefahrenursache ist der Halter des
Hundes. Und da gibt es vor allem zwei Typen von gefährlichen
Besitzern.

· Da wäre einmal der Mensch, der mit seinem Hund in einem
unklaren Rangverhältnis lebt, der es also nicht geschafft hat, dem
Hund klar zu machen, dass der Hund immer der rangniedrigste im
Rudel ist. Dieser Hundehalter hat seinen Hund somit nicht unter
Kontrolle und damit ist der Hund potentiell gefährlich.

· Das zweite ist der Hundebesitzer, der Freude daran hat, einen
gefährlichen Hund zu besitzen und sogar noch Maßnahmen trifft,
um den Hund gefährlicher zu machen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unfallsituation. Da es beim
Hund verschiedene Aggressionsformen gibt, gibt es auch
unterschiedliche Situationen, die diese Aggression auslösen. So
gibt es unter Beachtung der verschiedenen Aggressionsformen
sehr typische Unfallsituationen:

+ Opfer betritt Territorium des Hundes (Territorialverteidigung)

+ Opfer läuft vor dem Hund davon (Beutefang)

+ Opfer fährt mit dem Fahrrad am Hund vorbei (Beutefang)

+ Opfer unterschreitet die kritische Distanz des Hundes - Hund
fühlt sich bedroht (Verteidigung)

+ Opfer fügt dem Hund Schmerzen zu (Verteidigung)

+ Opfer nimmt dem Hund sein Futter weg (Dominanzverhalten)

+ Opfer verdrängt den Hund von einem Vorzugsplatz z.B. Sofa oder
Bett (Dominanzverhalten)



Vermeidung solcher typischer Unfallsituationen stellt somit eine
sehr wirksame Schutz- und Präventivmaßnahme vor Hundebissen dar.


Woran erkennt man aber nun einen gefährlichen Hund ?

Grundsätzlich einmal daran, dass er bereits einmal oder
mehrfach durch aggressives Verhalten aufgefallen ist. Hunde
sind, wenn sie gefährlich sind, Wiederholungstäter. Eine sehr
wirksame Präventionsmaßnahme ist somit die Definition von
auffällig gewordenen Hunden als gefährlich und die Belegung
dieser Hunde und ihrer Besitzer mit entsprechenden Auflagen.
Damit könnte bereits ein sehr großer Teil von Verletzungen durch
Hunde vermieden werden.

Oft wird auch der große Hund als besonders gefährlich
angesehen. Das ist aber auch nur bedingt richtig. Es ist zwar klar,
dass ein großer Hund, wenn er beisst, mehr Schaden anrichten
kann als ein kleiner, einen Hund grundsätzlich als besonders
gefährlich anzusehen, nur weil er eine bestimmte Größe
überschreitet ist aber ebenso wenig sinnvoll, wie die Gefährlichkeit
auf der Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse zu
definieren.

Was kann man noch tun?

Es gibt einige Maßnahmen, die getroffen werden können um das
Risiko von Verletzungen durch Hunde zu mindern. Dazu sind aber
nicht nur die Gesetzgeber gefragt sondern in erster Linie jeder
einzelne Hundebesitzer

· Durchgehende Kennzeichnung aller Hunde, im Idealfall durch
Mikrochip. Damit ist die Registrierung und Überwachung auffällig
gewordener Hunde erleichtert. Ein weiterer Vorteil, den eine
lückenlose Kennzeichnung bringt, ist, dass Hunde nicht mehr
einfach ausgesetzt werden können und verlorengegangene Hunde
ihren Besitzern wieder zurückgebracht werden können. Die
technologischen Voraussetzungen dafür sind gegeben, so bietet
z.B. der Verband Österreichischer Kleintiermediziner eine
internationale Datenbank, die rund um die Uhr über das Internet
abrufbar ist (http://www.animaldata.com)

· Sachkundenachweis für Hundehalter. Hunde sind sehr
komplexe lebendige Geschöpfe, der richtige Umgang mit ihnen,
der letztlich auch eine Voraussetzung für eine risikoarme Haltung
ist, erfordert eine gewisse Sachkompetenz. Nichtsdestoweniger
werden Hunde oft aus einer momentanen Laune heraus gekauft
ohne dass man sich vorher ausreichend informiert. Information
vor dem Hundekauf durch Tierärzte und Rassezuchtverbände,
allenfalls vorgeschriebene Schulungen für Besitzer von auffällig
gewordenen Hunden, unter Umständen sogar eine grundsätzliche
Pflicht für einen Sachkundenachweis für Hundehalter könnten
ebenfalls helfen, das Risiko zu mindern

· Gesundheits- und Wesenstest für Zuchthunde. Aggressives
Verhalten kann sehr vielschichtige Ursachen haben. Ein nicht zu
unterschätzender Prozentsatz von Verhaltensstörungen hat
organische Ursachen, das heißt, verschiedene Erkrankungen
können auch zu Verhaltensstörungen führen. Verhaltensstörungen
haben zudem fast immer so wie viele Gesundheitsstörungen auch
eine genetische Grundlage sodass die Zucht mit
verhaltensauffälligen und/oder kranken Hunden in jedem Fall zu
vermeiden ist. Das ERVIP-Programm (http://www.ervip.tierarzt.at)
ist eine tierärztliche Initiative, die Zuchtverbänden und Züchtern
rassespezifische standardisierte Untersuchungen anbietet, wobei
Welpen, die aus untersuchten und gesunden Elterntieren
stammen und selber untersucht und gesund befundet worden
sind, mit einem tierärztlichen Gütesiegel, dem ERVIP
(Erb-Vital-Pass) ausgezeichnet werden.

· Und nicht zuletzt kann jeder einzelne verantwortungsbewußte
Hundebesitzer dazu beitragen, dass die Angst der Bevölkerung
vor Hunden gemindert wird. Es sollte doch nicht passieren, dass
die 20000 Jahre alte Gemeinschaft zwischen Mensch und Hund,
durch einige wenige verantwortungslose Hundebesitzer in ihren
Grundfesten erschüttert und in Frage gestellt wird. Zumal diese
Gemeinschaft ja auch unendlich viele positive Aspekte hat.

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