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AHO Aktuell - 01.08.2000

Tierärzte zum Thema "Kampfhunde"


Aus aktuellem Anlass tagten am 29. Juli Tierärzte aus ganz Deutschland
zum Thema "Gefährliche Hunde / "Kampfhunde"" in der Tierärztlichen
Hochschule Hannover.


Die 350 Teilnehmer setzten sich insbesondere mit der niedersächsischen
Gefahrtier-Verordnung auseinander, die Anfang Juli in einem
Eilverfahren verabschiedet worden war. Sie kritisierten, dass sie ohne
tiermedizinischen Sachverstand erlassen worden sei. "Die Verordnung
muss von den Politikern überdacht und verändert werden", fasste
Tagungsleiter Prof. Dr. Ingo Nolte von der Tierärztlichen Hochschule
zusammen. Die Referenten betrachteten das Thema aus molekulargene-
tischer, verhaltensbiologischer und juristischer Sicht; auch der
Wesenstest wurde vorgestellt.

Zu den Beiträgen im Einzelnen:

Prof. Dr. Ottmar Distl vom Institut für Tierzucht und
Vererbungsforschung der TiHo ging auf die genetischen Grundlagen von
Rassenidentifikation und Verhaltensmerkmalen ein. Mit seiner
grundsätzlichen Feststellung, molekulargenetisch könne man die
Hunderassen nicht differenzieren, stellte er die in der Verordnung
enthaltene Rassenliste in Frage. Es ließe sich bis jetzt auch nicht
wissenschaftlich belegen, dass übersteigerte Aggression die Folge
langdauernder Selektion auf dieses Verhaltensmerkmal sei.

Wer ist also schuld am bösen Hund, fragte Dr. Barbara Schöning,
Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg. Wie wird ein Hund zum
gefährlichen Hund? Die Antwort: Wenn ein Hund übermäßig aggressiv sei,
liege dies an der mangelnden Sachkunde des Menschen. Erziehung und
Haltung des Hundes spielten eine wichtige Rolle. Aggressionsverhalten
gehöre zwar zum normalen Verhaltensrepertoire eines jeden Hundes; doch
Aggression sei kein Selbstzweck. Sie trete in der Regel in einer
bestimmten Situation als angemessene Reaktion auf entsprechende Reize
auf. Die Umwelt und Lernprozesse haben entscheidenden Einfluss auf
Qualität und Quantität des Aggressionsverhaltens eines Hundes.

Dr. Dorit Feddersen-Petersen vom Institut für Haustierkunde der
Christian-Albrechts-Universität Kiel unterstützte diesen Standpunkt mit
ihrem Referat "Biologie der Aggression bei Wölfen und Haushunden".
Hunde könnten als domestizierte Wölfe nur im Rahmen ihrer biologischen
Grenzen existieren: Sie seien hochsozial, ausgerichtet auf ein Leben in
Gruppen, die hierarchisch strukturiert seien und die Möglichkeit zur
Zusammenarbeit böten. Ihre soziale Kommunikation sei darauf
ausgerichtet, sowohl einen sozialen Status (Rang) zu erreichen bzw. zu
verteidigen als auch Beziehungen, Bindungen mit denselben, bekannten
Sozialpartnern zu etablieren.
Das Aggressionsverhalten sei ein obligatorisches Regulativ für das
Zusammenleben von Hunden und muss vom Menschen erkannt/gekannt und
durch Training biologisch korrekt gelenkt werden. Geschieht dieses
nicht bzw. wird Angriffsverhalten einseitig gefördert (Zucht,
Ausbildung), resultieren Verhaltensstörungen, die ein erhöhtes
Gefahrenpotential mit sich bringen.

Dr. Maria Dayen vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten beschäftigte sich mit der "Juristischen
Bewertung des "gefährlichen" Hundes" und erklärte die Erwägungen, die
zur Niedersächsischen Gefahrtier-Verordnung führten. Sie bezog sich
dabei auf das Tierschutzgesetz und das Gefahrenabwehrrecht.
Die (auch) auf den "gefährlichen" Hund anwendbaren
Tierschutzvorschriften, wie das Verbot der Aggressionsdressur und
-zucht, hätten daher auch vornehmlich zum Ziel, das Entstehen
"gefährlicher" Hunde zu verhindern, um sie nicht Haltungsbedingungen
unterwerfen zu müssen, die aus Sicherheitsgründen sehr starken
Einschränkungen unterliegen. Das Gefahrenabwehrrecht habe dagegen
überwiegend den Schutz des Menschen zum Ziel und berechtige die
Verwaltungs- und Polizeibehörden hierzu Maßnahmen zu ergreifen, die
auch bis zur Einschränkung der Grundrechte gehen könnten. Die Maßnahmen
sollen neben einem abwehrenden, zurückdrängenden Charakter auch
präventiv wirken.
Aufgrund dieser Erwägungen enthalte die Niedersächsische
Gefahrtier-Verordnung, die am 08.07.2000 in Kraft getreten ist, ein
Haltungs-, Zucht- und Vermehrungsverbot für Hunde der Rassen Bull-
terrier und American Staffordshire Terrier, Hunden des Typs Pit Bull
Terrier sowie Kreuzungen mit Hunden dieser Rassen bzw. dieses Typs, und
Vorgaben, unter denen die Haltung dieser Hunde ausnahmsweise erlaubt
werden kann. Weitere Hunderassen, die in der Anlage 1 aufgezählt sind,
werden mit einem Maulkorb- und Leinenzwang belegt, der ebenfalls unter
vorgegebenen Bedingungen aufgehoben werden kann.

Dr. Heinrich Bottermann vom nordrhein-westfälischen Ministerium für
Umwelt, Raumforschung und Landwirtschaft stellte fest, dass in den
Ländern heterogene Verordnungen, die durch unterschiedliche Intentionen
bedingt seien, erlassen würden. Eine bundesrechtliche Regelungs-
kompetenz fehle; Rechtslücken auf Bundesebene müssten geschlossen
werden; die Länder müssten ihre Regelungsansätze harmonisieren.

Dr. Christiane Mehl und Dr. Bernd Wichern, Gewerbe- und
Veterinärabteilung der Stadt Hannover, schilderten die Erfahrungen der
veterinärmedizinischen Überwachungsbehörde mit gefährlichen Hunden. Sie
stellten das soziale Umfeld und die verschiedenen Berufsgruppen unter
den Antragstellern für eine Ausnahmegenehmigung für gefährliche Hunde
nach der Gefahrtierverordnung vor. So sind 60 Prozent der Halter unter
30 Jahre alt, 23,2 Prozent Arbeiter und 20,5 Prozent einfache
Angestellte.

Einer der Höhepunkte der Tagung war sicherlich der Vortrag der
Tierärztin Esther Schalke vom Tierschutzzentrum der Tierärztlichen
Hochschule Hannover, die zum ersten Mal den Wesenstest für Kampfhunde
öffentlich vorstellte. Sie erläuterte die Bestandteile des Wesenstests
und nach welchen Kriterien der Tierarzt Aggressivität beurteilen kann.
Getestet wird das Ausdrucks- und Kommunikationsverhalten des Hundes in
alltäglichen Situationen. Zum Beispiel: Der Hundebesitzer fordert den
Hund zum Spielen auf; eine Person geht vorbei und starrt den Hund an.
Verschiedene andere Personen gehen vorbei: mit langem Mantel, mit Stock
(Blinder), ein Betrunkener, mit Angstschweiß. Menschen berühren den
Hund zufällig. Außerdem wird der Kontakt mit Artgenossen untersucht.
Wie der Hund auf Kinder reagiert, ist allerdings aus ethischen Gründen
nicht testbar. Das Verhalten wird mit einem Punktesystem bewertet.
Außerdem verfasst der testende "fachkundige Tierarzt" ein Gutachten.
Der Wesenstest ist die Basis, auf der die zuständige Behörde
entscheidet, wie mit dem "gefährlichen Hund" weiterzuverfahren ist.

Dr. Heike Pankatz vom Deutschen Tierschutzbund bezog zu den
verschiedenen Verordnungen der Bundesländer Stellung. Der Deutsche
Tierschutzbund kritisiert, dass den verschiedenen
Landeshundeverordnungen keine einheitliche Regelung zugrunde liege. Es
herrsche ein regelrechtes Verordnungschaos, Hundehalter seien sehr
verunsichert. Den Verordnungsgebern wirft der Tierschutzbund eine
übereilte Vorgehensweise vor; Tierschutzorganisationen und
Sachverständige seien bei der Ausarbeitung der Verordnungstexte nicht
gefragt worden. Der Deutsche Tierschutzbund fordere erneut eine
bundeseinheitliche Regelung in Form eines Heimtiergesetzes, um die
bestehenden Gesetzeslücken hinsichtlich Zucht, Handel, Haltung und
Ausbildung von Tieren und hier speziell Hunden zu schließen.


Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an Prof. Dr. Ingo Nolte,
Klinik für Kleine Haustiere an der Tierärztlichen Hochschule Hannover;
Tel.: 0511/856-7251 oder an die Pressestelle der Tierärztliche
Hochschule Hannover Tel.: 0511/953-8002



Informationsdienst Wissenschaft (idw) - Pressemitteilung
Tierärztliche Hochschule Hannover, 01.08.2000
 



 

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