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AHO Aktuell - 20.09.2002

Lokalanästhetika - mehr als nur Schmerzmittel?

Neue Erkenntnisse zur Entzündungshemmung


(idw) - Lokalanästhetika wie Lidocain und verwandte Stoffe könnten künftig
möglicherweise auch als Entzündungshemmer eingesetzt werden. Einen
Grundstein für diese Weiterentwicklung hat ein Forscherteam der
Universitätsklinik für Anästhesiologie Heidelberg mit seinen
molekularbiologischen Arbeiten gelegt.

Die moderne Medizin wäre ohne sie kaum vorstellbar: Sie machen
Zahnbehandlungen erträglich, schalten den Schmerz bei lokal begrenzten
Eingriffen aus und sind wichtiger Bestandteil der Schmerztherapie.
Lokalanästhetika werden seit langem erfolgreich und vielfältig
eingesetzt. Dennoch war bislang wenig darüber bekannt, warum lokale
Betäubungsmittel nicht nur Schmerz lindern, sondern u.a. auch
Entzündungen hemmen oder das Thromboserisiko vermindern können. Dr. Dr.
Markus W. Hollmann von der Universitätsklinik für Anästhesiologie
Heidelberg, und sein Forschungsteam haben nun die molekularen
Mechanismen näher charakterisiert. Für seine Arbeiten erhielt der
Projektleiter der Arbeitsgruppe "Alternative Effekte von
Lokalanästhetika" im Juli 2002 zum zweiten Mal in Folge den "Ben Covino
Research Award" der International Anesthesia Research Society (IARS).
Zudem wurde er in den vergangenen drei Jahren jeweils für seine Arbeiten
von der American Society of Anesthesiologists (ASA) ausgezeichnet.

Schmerzblockade durch Auslöschen des elektrischen Signals

Wie entsteht Schmerz? Unser Körper verfügt über ein Warnsystem, das ihm
mögliche Bedrohungen eindringlich und unmittelbar meldet. Rund drei
Millionen "Schmerzsensoren", spezialisierte Zellen, die auf schmerzhafte
Reize reagieren, sind an freien Nervenendigungen im Körper verteilt,
besonders an seiner Oberfläche. Bei Kontakt mit Hitze, bestimmten
Stoffen oder etwa einem scharfen Gegenstand, werden die Sensoren erregt
und schicken elektrische Signale über Nervenfasern in das Rückenmark und
schließlich ins Gehirn, das Schmerzen wahrnimmt.

Lokalanästhetika verhindern, dass die Schmerzreize ins Gehirn gelangen.
Dabei blockieren sie Natriumkanäle in den Wänden der Nervenzellen,
winzige Poren, die sich auf einen Schmerzreiz hin öffnen und Natrium in
die Zelle strömen lassen. Dies führt zur elektrischen Erregung der
Zelle, die als Schmerzsignal ans Gehirn weitergeleitet wird. Das
elektrische Schmerzsignal erlischt, wenn die Kanäle blockiert sind.

Molekularbiologie hilft bei der Aufklärung der Wirkmechanismen

Doch Lokalanästhetika sind wesentlich vielseitiger: Sie hemmen
Entzündungsprozesse, beeinflussen die Blutgerinnung und schwächen eine
Verkrampfung der Bronchialmuskulatur ab. Diese Effekte sind vor, während
und nach der Operation durchaus wünschenswert, werden allerdings von
anderen Medikamente wesentlich stärker hervorgerufen. Neuere
Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Lokalanästhetika einzigartig
sind, da sie die durch eine Operation ausgelöste überschiessende
Entzündungsreaktion und Blutgerinnung auf ein normales Maß reduzieren
können, ohne dabei die physiologische Funktion dieser Systeme zu
beeinträchtigen.

Warum haben Lokalanästhetika diese zusätzlichen Effekte? Die
Heidelberger Wissenschaftler fanden heraus: Lokalanästhetika verändern
nicht nur die Durchlässigkeit von Natriumkanälen, sondern sind an
weiteren Stellen der Zelloberfläche aktiv. "Wir konnten nachweisen, dass
Lokalanästhetika an eine Reihe von sogenannten G-Protein gekoppelten
Rezeptor-Molekülen binden", erläutert Dr. Hollmann. Dabei handelt es
sich um Proteine, die auf der Außenseite der Zelle als Andockstellen
u.a. für Lokalanästhetika dienen. Ein Teil des Rezeptormoleküls reicht
durch die Zellmembran ins Innere der Zelle und ist dort mit dem
sogenannten G-Protein verbunden. "Lokalanästhetika dringen auch ins
Zellinnere. Dort treten sie mit bestimmten Typen von G-Proteinen in
Wechselwirkung", erklärt Dr. Hollmann. Die Aktivität des G-Proteins wird
sowohl durch die Bindung an den Rezeptor als auch an das G-Protein in
der Zelle beeinflusst. Diese Blockierung findet nicht nur bei
Nervenzellen, sondern auch bei anderen Zelltypen statt und ruft die
"Nebenwirkungen" hervor. Als Folge produzieren etwa weiße Blutzellen
weniger Sauerstoffradikale, die Entzündungsreaktionen in Gang halten.

Neue Medikamente hemmen spezifisch Entzündungen

Dem Heidelberger Team gelang es, die Bindungsstellen der
Lokalanästhetika durch künstlich veränderte Rezeptormoleküle zu
identifizieren. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass nach
langfristiger Anwendung von Lokalanästhetika die Signalweiterleitung an
einem Großteil der G-Protein gekoppelten Rezeptoren blockiert war.
"Unsere Ergebnisse sind ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer
Medikamente. Auf der Basis von Lokalanästhetika versuchen wir Substanzen
zu finden bzw. herzustellen, die eine höhere Potenz haben, spezifische
G-Protein-Untereinheiten zu blockieren und somit möglicherweise die
Entzündung stärker beeinflussen", sagt Dr. Hollmann. Wichtig ist, dass
diese Substanzen sehr spezifisch sind: Sie blockieren weder
Natriumkanäle, noch üben sie einen negativen Einfluss auf die
physiologische Funktion von Blutgerinnung und Entzündung aus.


Informationsdienst Wissenschaft - idw - - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Heidelberg, 20.09.2002


 



 

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