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AHO Aktuell - 10.04.2006

Die Strategie der Panikmacher: Künstliche Risiken als Sündenbock


Von Gunnar Sohn

Bonn (www.ne-na.de) - Gut gemeint erweist sich im praktischen Leben
nicht selten als das Gegenteil: Als lehrreich gilt in Expertenkreisen
das Verbot des Insektizids DDT - 1972 von der US-Umweltschutzbehörde
Environmental Protection Agency (EPA) vorschnell verboten. DDT stand
damals im Verdacht, krebserregend zu sein und den Bruterfolg des
Weißkopf-Seeadlers zu beeinträchtigen. "Die für Menschen völlig
ungiftige Chlorverbindung war 1939 vom schweizerischen Chemiker Paul
Hermann entdeckt worden. Müller wurde dafür nach dem Krieg mit dem
Nobelpreis geehrt. Und das völlig zu Recht. Denn DDT hatte sich bei
der Landung der Alliierten in Süditalien bei der Bekämpfung von
Mücken und Läusen sowie einer durch Mücken verbreiteten
Typhus-Epidemie in Neapel eindrucksvoll bewährt und erwies sich später
im Kampf gegen die Malaria-Mücken in armen tropischen Ländern als
eine Art Wundermittel", sagte der Frankfurter Wissenschaftsjournalist
Edgar Gärtner http://www.gaertner-online.de/ bei der Vorstellung
seiner Umweltstudie "Vorsorge oder Willkür?" (Deutscher
Instituts-Verlag) im Bonner Presseclub.

Seit dem DDT-Verbot sollen weltweit rund 50 Millionen Menschen der
Malaria zum Opfer gefallen sein. "Bis heute gibt es für DDT keinen
vergleichbar wirksamen und für arme Länder bezahlbaren Ersatz. In den
wohlhabenden Ländern hingegen wurden DDT und andere chlororganische
Pestizide eine Zeit lang von den konkurrierenden Organphosphaten
verdrängt und kosteten zahlreichen, an den Umgang mit so gefährlichen
Arbeitsmitteln nicht gewöhnten Landarbeitern die Gesundheit, wenn
nicht das Leben", so Gärtner. Wegen der bitteren Erfahrungen mit dem
DDT-Verbot sollte es sich eigentlich von selbst verstehen, etwas
behutsamer und wissenschaftlich solider mit Stoffverboten in der
Umweltpolitik umzugehen. Aber davon sei man weit entfernt, wenn auch
heute noch Organisationen wie Greenpeace organische Umweltchemikalien
sogar pauschal ächten wollen. Auch bei der EU-Chemikalien-Verordnung
REACH gehe es nach Ansicht von Gärtner nicht um ein Verbot besonders
gefährlicher Stoffe im Interesse der Gesundheitsvorsorge, sondern um
ein als Vorsorge bemänteltes Nachgeben gegenüber einer emotionalen
Kampagne. Gärnter erinnerte an die unter Wissenschaftlern bekannte
Paracelsus-Regel: "Alle Ding' sind Gift und nichts ohn' Gift; allein
die Dosis macht, das ein Ding kein Gift ist." Die Angabe der Dosis
werde in öffentlichen Hysterie-Kampagnen regelmäßig unterschlagen,
sagte der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer in seinem
Vortrag bei der Präsentation des Gärtner-Buches. Als Beispiel
erwähnte der Wissenschaftler eine Meldung der Nachrichtenagentur dpa:
"In Muttermilch 300 Gifte nachgewiesen". Die Nachricht sei vielfach
nachgedruckt worden und symptomatisch für die Panikmache hierzulande.
"dpa liegt mit der Panik-Botschaft falsch. In der Muttermilch sind
nicht nur 300, sondern 3.000, vielleicht sogar 30.000 Schadstoffe
enthalten. Es gibt vermutlich keinen Stoff und auch kein Gift der
Erde, der oder das nicht auch in Muttermilch enthalten wäre. Die
Meldung suggeriert, das wäre gefährlich. Davon kann aber keine Rede
sein. Wir schleppen in unserem Körper, wenn auch in minimalen Mengen,
fast jede giftige und ungiftige Substanz herum, die man sich nur
denken kann. So enthält der Körper eines jeden Mitteleuropäers mit
großer Wahrscheinlichkeit mindestens ein Molekül von Jesus Christus.
Teuflische und göttliche Stoffe gibt es in und um uns mehr als genug.
Mit den modernen Analysemethoden werden wir sie peu a peu auch alle
finden. Das belegt allerdings nicht, das alles immer mehr vergiftet
würde", so Krämer.

Das Prinzip bei Angstkampagnen sei immer das gleiche: "Es wird
regelmäßig nur auf die Existenz eines Gefahrstoffes abgestellt, das
Wort ,Dosis' haben viele Meinungsbildner offenbar noch nie gehört.
Lesen Sie doch mal die Zeitschrift Öko-Test: In den Berichten wird
vor allem auf die Existenz, nicht auf die Menge eines Giftes
abgestellt und die Beziehung von Dosis und Wirkung ignoriert man
dabei. Was passiert, wenn sich Verbraucher von solchen Meldungen ins
Bockshorn jagen lassen, zeigt der berühmte
Schlecker-Babykost-Skandal. Babykost darf in Deutschland keinerlei
Pestizide enthalten. Dann wurden aber trotzdem Pestizide
nachgewiesen, die Mütter geraten in Panik, rennen auf den Wochenmarkt
und machen den Babybrei selbst, nicht wissend, dass unser Marktgemüse
eine bis zu 200mal höhere Schadstoffkonzentration aufweist und auch
aufweisen darf, als jemals in den beanstandeten Schleckerprodukten
nachgewiesen worden ist", führte Krämer aus. Die Risikowahrnehmung
sei in Deutschland enorm verzerrt.

"Natürliche Risiken werden nicht nur eher akzeptiert, sondern auch
gewaltig unterschätzt. Viele Menschen geraten in Panik, wenn ein
Castor an ihrem Dorf vorüberfährt, fliegen aber ohne zu Murren nach
New York und setzen sich dabei über die natürliche Höhenstrahlung
einer vielfach höheren Radioaktivitätsdosis aus, als jemals in der
Nähe eines Castors gemessen wurde", so Krämer. Besonders eklatant sei
der Unterschied bei natürlichen und künstlichen Faktoren in
Nahrungsmitteln: "99,9 Prozent aller Schadstoffe und Gifte in unserer
Nahrung sind natürlichen Ursprungs. So sind in Himbeeren 34
verschiedene giftige Aldehyde und Ketone, 32 verschiedene Alkohole,
20 verschiedene Ester, 14 verschiedene Säuren, drei
Kohlenwasserstoffe und sieben weitere giftige Verbindungen. Darunter
Cumarin, das Leberschäden verursacht. Nach unseren Umweltgesetzen
müsste die ,Herstellung' von Himbeeren verboten werden", betonte
Krämer. Auch Kartoffeln seien von Natur aus giftig. Sie würden
beispielsweise das natürliche Gift Solanin enthalten - da reiche ein
halbes Gramm für eine tödliche Wirkung. "Das interessiert die Medien
und die Verbraucher aber nicht. Für beide ist eine Nachricht vor
allem dann interessant, wenn Menschen als Verursacher
dahinterstecken. Medien brauchen Opfer, Medien brauchen Sündenböcke
und die Natur ist ein schlechter Sündenbock", kritisierte Krämer in
seiner Rede. Birkel Eiernudeln, Monitor-Fischwürmer, Glycol im Wein,
BSE oder Nitrofen. In all diesen Fällen werde in aller Regel
unbegründete Panik hervorgerufen. In jeder Hysteriewelle treibe man
ein neues Schwein durchs Dorf und verursache damit einen enormen
wirtschaftlichen Schaden. "Dabei will ich die mögliche Gefahr durch
Risiken wie etwa BSE nicht herunterspielen. Sollten sich die
Horrorvisionen gewisser Kritiker bestätigen, was recht
unwahrscheinlich ist, werden auch in Deutschland mehrere Dutzend
Menschen an der neuen Version der Creutzfeld-Jacob-Krankheit sterben,
die sie sich durch Rindfleischessen zugezogen haben. Das ist sicher
schlimm genug. Aber allein in Deutschland sterben jedes Jahr über 800
Menschen an verschluckten Fischgräten. Nach den Kriterien, die
üblicherweise für industrielle Gefahren gelten, müsste das Fischessen
weltweit verboten werden", sagte Krämer.

Dieser Umgang mit Gefahr und Risiko sei nicht nur irrational, sondern
volkswirtschaftlich äußerst schädlich. "Absteigende Gesellschaften -
und dazu müssen wir uns in Deutschland heute leider zählen -
unterscheiden sich in vielen Dingen. Aber eines haben sie gemein. Sie
sehen das Neue nicht als Chance, sie sehen das Neue als Gefahr. In
dynamischen Gesellschaften haben die Gegner des Neuen zu beweisen,
dass das Neue schadet. In Deutschland haben Neuerer zu beweisen, dass
das Neue nicht schadet und diese Geisteshaltung führt schnurstracks
in die wirtschaftliche Katastrophe", mahnte Krämer.

Innovationen, so das Fazit des Buchautors Edgar Gärtner, benötigen
gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse, die Tüftlern,
Spinnern und Ketzern Freiräume gewähren und jene belohnen, deren
Erfindungen bekannte Probleme kostengünstiger und menschenwürdiger
lösen als herkömmliche Techniken und Systeme. Zu einem solchen
Innovationsklima gehöre auch die Risikomündigkeit des Bürgers, die
der Staat nur schlecht ersetzen könne. "Beim Fischessen hilft mir
staatlicher Dirigismus ja auch nicht weiter", bemerkte Gärtner.

 



 

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